Heimweh nach der ferne

Nepal 2005

Reisebericht Nepal

18.04. - 18.06.2005

 

Gruezi - Namaste*

 

Kathmandu, die Hauptstadt Nepal's ist seit vielen Jahren Treffpunkt vieler Himalayareisender. Im Touristenviertel Thamel reihen sich Billighotels, Baeckereien und Restaurant mit westlichem Angebot aneinander. Der Zustrom an Touristen hat seit den politischen Turbulenzen und dem Erklaeren des Ausnahmezustandes anfangs Februar drastisch nachgelassen. In unseren Augen treffen wir aber immer noch eine stattliche Anzahl Touristen an. Die Atmosphaere in der Hauptstadt ist ruhig und ausser der vermehrten Armee- und Polizeipraesenz merken wir nicht viel von dem im Lande herrschenden Buergerkrieg. Bei anderen Reisenden und auf dem Schweizer Konsulat erkundigen wir uns ueber die Sicherheitslage auf den bekannten Trekkingtouren in den Himalayabergen. Die Wanderung zum Mt. Everest Base Camp und jene um das Annapurnamassiv soll fuer Touristen ungefaehrlich sein. Die Auseinandersetzungen zwischen den maoistischen Rebellen und den Armeeeinheiten finden hauptsaechlich im Westen des Landes statt.

 

Nachdem wir es fast eineinhalb Jahre geschafft haben, die "Touristenghettos" zu umgehen, koennen wir nun dem hiesigen Angebot nicht widerstehen. Es gibt feine "Oepfelwaie", Gipfeli, Brot und Salat, wir fuehlen uns beinahe wie zuhause. Nach ein paar Tagen packen wir unsere Rucksaecke und starten zur Wanderung Richtung Mt. Everest. Ein zweimotoriges Dornier-Propellerflugzeug bringt uns nach Lukla, dem Ausgangspunkt unseres Tripps auf 2800 Meter ueber Meer. Die Landung auf der sehr kurzen und bergwaerts steil ansteigenden Piste ist spektakulaer. Als wir sehen, wie die Flugzeuge wie auf einer Sprungschanze wieder in die Luft abheben, wird uns mulmig zumute. Doch bis zu unserem Rueckflug dauert es ja noch eine Weile.

 

Wir schnallen unsere schweren Rucksaecke an und nehmen die mehr als 40 Kilometer bis zum Basislager in Angriff. Wir folgen den Spuren von Edmund Hillary und Tenzing Norgay, den beiden Erstbezwingern des Mt. Everest im Jahre 1953. Der gut ausgebaute Fussweg fuehrt durch Bauerndoerfer der Sherpas, dem hier lebenden Bergvolk. Auf den Feldern wird Mais, Buchweizen und Kartoffeln angebaut. In jedem Dorf finden sich etliche Gasthaeuser, die den Wanderern als Uebernachtungslager dienen. Das Angebot uebersteigt zurzeit die Nachfrage deutlich, sind doch so spaet in der Saison nur sehr wenige Trekker unterwegs. Die erst Nacht sind wir die einzigen Gaeste in unserer Lodge in Benkar. Am zweiten Tag koennen wir aus der Ferne das erste Mal einen Blick auf den hoechsten Gipfel der Welt werfen. Die Nacht verbringen wir in einer Lodge in Namche Bazaar, dem auf 3500 Meter ueber Meer liegenden Hauptort der Everestregion. Den Wanderern auf dieser populaeren Route wird in den Unterkuenften am Weg einiger Komfort geboten, wie warme Dusche, Doppelzimmer und ein breites Angebot an feinen Speisen. In Namche probieren wir Yakssteaks, die uns ausgezeichnet schmecken. Auf den Menuekarten finden sich ferner Teigwaren, Eier, Muesli, Roesti, Pfannkuchen, Apfeltorte und das traditionelle Dal Bhaat (Linsen und Reis).

 

Weil wir uns bereits in Bhutan auf Hoehen von ueber 4000 Meter angepasst haben, koennen wir auf die sonst noetigen Akklimatisierungstage verzichten. Wir kommen so taeglich rasch voran und goennen uns einen ersten Ruhetag erst nach fuenf Tagen in Dingboche auf 4360 Meter ueber Meer. Den Ruhetag nutzen wir fuer einen Ausflug nach Chhukhung. Wir geniessen von dort die Sicht auf die 5814 Meter hohe Pyramide des Aba Dablam und auf die Ostseiten von Lhotse (8516 Meter) und Nuptse (7864 Meter).

 

Auf unseren taeglichen Etappen talaufwaerts begegnen wir schwer beladenen Traegern, die Lasten von bis zu 100 Kilogramm auf ihren Ruecken schleppen. Auch Yaks werden als Lastentiere eingesetzt. So wird der Nachschub an Getraenken und Nahrungsmitteln, aber auch die Ausruestungen von Expeditionen ins Mt. Everest Basislager, in die Lodges und Shops hochgetragen. Viele Touristen ueberlassen, im Gegensatz zu uns, ihr schweres Gepaeck einem Traeger und sind nur mit einem kleinen Tagesrucksack unterwegs.

 

Wir steigen weiter das Khumbutal aufwaerts und erreichen die Huetten von Lobuche auf 4930 Meter ueber Meer. Dort erfahren wir, dass sich momentan 28 Expeditionen im Basislager einquartiert haben. Die Zeltstadt beherbergt demnach ueber 1000 Personen. Der Grund fuer diese hohe Zahl von Expeditionen liegt darin, dass die Chancen fuer eine erfolgreiche Besteigung des 8848 Meter hohen Mt. Everest erfahrungsgemaess anfangs Mai sehr hoch sind. Wir verzichten auf den Besuch des noch rund fuenf Stunden entfernten Basislagers und erklimmen stattdessen den 5460 Meter hohen Kala Pattar. Von dort oben soll sich ein wunderbarer Rundblick auf die Bergspitzen bieten. Als wir noch mitten im Aufstieg sind, ziehen sich dunkle Wolken zusammen und Everest, Nuptse und Lhotse verschwinden im Nebel. Als sich keine Verbesserung anzeigt, steigen wir hinunter in die Berghuette von Gorak Shep und waermen uns auf. Auf dem Rueckweg nach Lobuche begleitet uns starker Schneefall.

 

Am naechsten Morgen praesentiert sich die frisch verschneite Winterlandschaft im schoensten Sonnenschein. Doch nicht fuer lange. Als wir abmarschbereit sind, verzieht sich die Sonne und erneut beginnt es zu schneien. Den ganzen Weg bis zu den beiden Alphuetten von Dzongla (4860 Meter ueber Meer) stampfen wir durch Neuschnee. Als der Schneefall am Abend immer noch anhaelt, fragen wir uns, ob wir die fuer morgen geplante Ueberquerung des 5368 Meter hohen Cho La Passes in Angriff nehmen wollen. In unserer Huette uebernachtet eine Reisegruppe mit Bergfuehrer, die um sechs Uhr in der Frueh aufbrechen will. Wir beschliessen, ihren Fussspuren zu folgen.

 

In der Nacht hat es aufgehoert zu schneien und der Nachthimmel praesentiert sich sternenklar. In den mit Spanplatten abgetrennten Schlafraeumen ist es bitterkalt. Wir sind froh um unsere warmen Schlafsaecke. Einmal mehr ist der Wettergott auf unserer Seite. Wir brechen bei wolkenlosen Himmel auf, die ersten Sonnenstrahlen erreichen die Gipfel der umliegenden Berge. Wir durchqueren die frisch verschneite Talebene oberhalb der Alphuette. Es ist eine wunderbare Stimmung: Im Sueden ragt der Cholatse Nordgipfel, so nah und gross vor uns auf als wuerde er jeden Moment auf uns stuerzen, talabwaerts sehen wir die Pyramide des Ama Dablam und rechts von uns sind die beiden Gipfel des Lobuche zum greifen nahe. Geradeaus sehen wir die Wand des Cholapasses, die wir erklimmen muessen. Es kostet einigen Schweiss, geht es doch fast senkrecht die Felsen hoch. Alle marschieren in Einerkolonne: Die Sherpas mit ihren schwerbeladenen Bambuskoerben, Touristen mit Tagesrucksack, Bergfuehrer und wir beide mit unseren viel zu schweren Rucksaecken. Die letzten 400 Meter ueber den leicht ansteigenden Gletscher sind beschwerlich. Jeder Schritt ist muehsam und belastet unsere Lunge und unser Herz. Nach zweieinhalb Stunden haben wir es geschafft und erreichen die Passhoehe. Es bleibt nur kurze Zeit, die Aussicht zu geniessen. Schon bald sind wir in dichte Nebelwolken gehuelt. Der Abstieg ist noch beschwerlicher als der Aufstieg. Schnee, Geroell und glitschige Felsen lassen uns nur langsam vorankommen. Fuer die Traeger ist es noch beschwerlicher, mehrmals rutschen sie mit ihren schweren Lasten aus und koennen nur mit fremder Hilfe aufstehen. Nach mehr als sieben Stunden erreichen wir schliesslich die Alpsiedlung von Gokyo. Wir sind todmuede und freuen uns auf einige wohlverdiente Ruhetage.

 

Unweit der Lodge beginnt der Aufstieg zum Gokyo Ri (5357 Meter ueber Meer). Von dort soll die Aussicht auf die hoechsten Gipfel der Welt einmalig sein. Wir starten fruehmorgens und kurz nach Sonnenaufgang stehen wir auf dem Gipfel. Die Himalayabergwelt praesentiert sich im 360 Grad Panorama. Mit Cho Yo, Everest und Lhotse ragen drei Achttausender in den Morgenhimmel. Wir geniessen den Ausblick und die Ruhe. Den Gipfel verlassen wir erst, als der Wind nach zwei Stunden die ersten Wolkenfetzen den Hang hochtreibt. Am Abend sitzen wir im Esssaal um den warmen, mit Yakdung beheizten Ofen. Apa Nima Tenzing, der achtzigjaehrige Vater des Lodgebesitzers, leistet uns Gesellschaft. Mit seinen wenigen Brocken Englisch erzaehlt er uns aus seinem harten Leben. Mehr als 30 Jahre fuehrte er mit seiner Yakkaravane Waren und Lebensmittel nach Tibet. Diese tauschte er dort gegen Salz ein. Er erzaehlt uns, wie in den Fuenfzigerjahren die chinesische Armee in Tibet einmarschierte und der Dalai Lama ueber Nepal nach Indien fluechten musste. Heute kuemmert sich der ruestige Nima Tenzing um seine Yaktiere. Stolz praesentiert er uns eines Morgens ein in der Nacht geborenes Kaelbchen. Die Gastfreundschaft die wir in Gokyo erleben erschwert uns den Abschied, den wir immer wieder hinausschieben. Erst nach vier Tagen kehren wir ueber Namche wieder nach Lukla zurueck. Wir ueberstehen den Rueckflug nach Kathmandu heil.

 

Als naechstes steht uns die Umkreisung des Annapurna-Massivs bevor. Das sind rund 300 Kilometer. Wir rechnen mit vier Wochen Wanderzeit, einige Ruhetage eingerechnet. Die sechzehn Tage, die wir in der Everest Region verbracht haben, sind im Vergleich dazu nur eine Aufwaermetappe. Den Ausgangspunkt Besi Sahar erreichen wir nach einer siebenstuendigen Busfahrt. Die Wanderung beginnt auf einer Meereshoehe von 820 Metern, rund 2000 Meter tiefer als beim Everesttrek. Die Landschaft praesentiert sich im saftigen, subtropischen Gruen. An den Berghaengen sind Terrassenfelder zu sehen, eingeritzt wie Hoehenkurven auf einer Landkarte. Unzaehlige Male ueberqueren wir das Tal auf langen, schaukelnden Haengebruecken. Wir wandern vorbei an Bananenplantagen, Mais- und Kartoffelnfeldern. In den kleinen Bauerndoerfern unterwegs werden wir von den Bewohnern mit dem Gruss "Namaste" empfangen. Oft begleiten uns Kinder fuer eine kurze Strecke. Dies freut uns natuerlich, wir merken natuerlich bald, dass sie meist nur darauf aus sind, von uns Schokolade, Biskuits oder Kugelschreiber zu erhalten. Anscheinend tragen andere Wanderer ganze Arsenale an kleinen Geschenken mitsich.

 

Wir folgen ein paar Tage dem Marsyangi-Fluss. Die Landschaft beginnt zunehmend einem Bergtal in der Schweiz zu gleichen. Statt durch Bambus- wandern wir nun durch Foehrenwaelder. Bereits koennen wir erste Gipfel des Annapurna-Massivs erblicken. Die Siedlungen sind zunehmend tibetisch und buddhistisch gepraegt. Unterwegs marschieren wir vorbei an Mani-Steinmauern. Das sind aufgeschichtete Felstafeln, in die der buddhistische Gebetsspruch "Om mani padme hum" (Juwel im Herzen des Lotus) eingeritzt ist. Inzwischen sind wir sechs Tagesetappen von der in Besi Sahar endenden Autostrasse entfernt. Wir teilen den Weg mit Traegern und Maultierkaravanen, schwer beladen mit Lebensmitteln oder Kerosinkanister, die sie in die abgelegenen Doerfer bringen. Fuer uns ist es eine neue Erfahrung, uns jeden Tag ein Stueck weiter von der westlich gepraegten Zivilisation und Mobilitaet zu verabschieden. Jeder nicht lokal gefertigte Gegenstand und alle nicht hier angepflanzen Nahrungsmittel muessen von weit her hochgetragen werden. Wir setzen uns mit einem schlechten Gewissen auf die Plastikstuehle im Garten unserer Lodge, und stellen uns vor, wie wohl der schwere Kuehlschrank oder das Keramiklavabo hierher gekommen sind.

 

In Manang, auf 3570 Meter ueber Meer, machen wir eine unerwartete Entdeckung: Das Angebot der Tilicho Baeckerei laesst uns das Wasser im Munde zusammenlaufen: Schokoladegipfel, Zimtnussschnecken so gross wie Suppenteller, Apfelstrudel und weitere Suessigkeiten liegen im Schaufenster. Wir koennen nicht widerstehen und goennen uns ein feines Znueni. Dazu trinken wir ein Glas "Seabuckthron"-Saft. Diese Frucht wird hier angepflanzt und ihr Vitamingehalt soll sehr hoch sein.

 

Einen Tag spaeter steigen wir auf ueber 5000 Meter hoch. Wir finden ein Nachtlager in einem sehr kleinen und einfach eingerichteten Teehaus. Die Passhoehe des Thorung La auf 5416 Meter ueber Meer ist nicht mehr weit entfernt. Wir erreichen sie am naechsten Morgen nach eineinhalb Stunden Fussmarsch. Die Aussicht vom mit Gebetsfahnen geschmueckten Plateau nach Westen ist eindruecklich. Die Siedlungen, von gruenen Getreidefeldern umrahmt, erscheinen wie Oasen im wuestenaehnlichen Terrain. Es ist das noerdlichste Gebiet Mustangs, das fuer Touristen zugaenglich ist, ohne dass eine hohe Gebuehr bezahlt werden muss. Am Horizont ist der Gipfel des Dhaulagiri (8167 Meter) auszumachen.

Muktinath ist der erste Ort, den wir nach einem harten Abstieg erreichen. Der dortige Tempel ist Wallfahrtsort sowohl fuer Hindus wie auch fuer Buddhisten. Wir begegnen Pilgern, die hunderte von Kilometern zurueckgelegt haben, um diesen heiligen Ort zu erreichen. Einige von ihnen sind barfuss unterwegs. Der weitere Weg hinunter ins Tal ist landschaftlich sehr reizvoll. Unser Blick schweift nordwaerts Richtung Upper Mustang und Tibet. Mustang - allein der Name hat fuer uns etwas mystisches an sich. Wir verschieben aber einen Besuch vo Lo Manthang auf einen spaeteren Zeitpunkt.

 

Wir erreichen bald den breiten Talboden und das sandige Flussbett des Khali Gandaki. Dort blaest uns ein sehr heftiger Wind entgegen. Unsere Gesichter sind vom Staub und Sand schwarz gefaerbt, als wir Jomsom erreichen. Am naechsten Tag starten wir sehr frueh, da der Wind bereits um etwa neun Uhr einsetzt. Um die Mittagszeit aendert sich die Vegetation drastisch und wir wandern in gruenen Fichtenwaeldern, vom hartnaeckigen Gegenwind geschuetzt. Am elften Tag erreichen wir die heissen Quellen von Tatopani und es ist Zeit fuer einige Ruhetage. Der Ort liegt auf 1200 Meter ueber Meer und es ist hier wieder tropisch warm.

 

Ueber die Anhoehe von Deorali gelangen wir schliesslich ins Tal des Modi Khola. Wir folgen dem Fluss talaufwaerts und erreichen die Berghuetten des Annapurna Basislagers auf 4130 Meter ueber Meer. Nachdem wir waehrend 18 Tagen das Annapurna-Massiv zu Fuss umrundet haben, sind wir nun ins Zentrum dieser Bergarena vorgestossen. Bei Sonnenaufgang praesentiert sich uns ein wolkenfreies, grandioses 360 Grad Panorama. Wir sehen die Gipfel des Annapurna I (8091 Meter), Gangapurna (7454 Meter), Annapurna III (7555 Meter), Machhaputchhare (6997 Meter) und des Hiunchuli (6941 Meter). Nachdem wir vor wenigen Tagen noch geschwitzt haben, ist es hier oben recht kalt und unsere Thermowaesche kommt nochmals zum Einsatz. Wieso oft auf unserer Wanderung sind wir die einzigen Gaeste in unserer Lodge. Wir legen einen weiteren Ruhetag in dieser beeindruckenden Bergwelt ein. Zum letzten Mal lassen wir die Ruhe und die Nahe der Himalayagipfel auf uns einwirken.

 

Nur vier Tage spaeter sind wir wieder zurueck in der Zivilisation. Nach ueber drei Wochen in der Abgeschiedenheit der nepalesischen Bergwelt muessen wir uns wieder an die Laermkulissen in Pokhara und Kathmandu gewoehnen. Was fuer eine Diskrepanz zwischen diesen nur wenige Stunden auseinanderliegenden Welten! In der Touristenzone der Hauptstadt erinnert wenig daran, dass das Land auch heute noch zu den Aermsten der Welt gehoert.

 

Mitte Juni verlassen wir Nepal und fahren mit dem Bus weiter nach Tibet. Nepal liegt hinter uns, wir freuen uns auf neue Reiseerlebnisse in China.

 

*so begruesst man sich in Nepal