Heimweh nach der ferne

Indien 2005

Reisebericht Nordindien, Gujarat und Rajasthan

5. Januar bis 4. Februar 2005

 

Gruezi - Namaste*

 

Wir beginnen den zweiten Teil unserer Reise in Mumbay. Die Stadt an der Westküste Indiens ist wohl bekannter unter ihrem alten Namen Bombay. Wie alle Millionenstädte auf dem indischen Subkontinent verzeichnet auch diese Metropole einen starken Bevölkerungszuwachs, dessen Auswirkungen wir bereits auf der nächtlichen Taxifahrt vom Flughafen ins Hotel begegnen. Beidseits der Strassen sehen wir Armensiedlungen, einfache Hütten aus Blech, Holz, Plastik und Karton. Gekocht wird im Freien und öffentliche Brunnen dienen den hier lebenden Menschen als Badezimmer. Die sanitären Einrichtungen, auch die öffentlichen, sind, falls überhaupt vorhanden, äusserst primitiv. Viele verrichten ihre Notdurft gleich an Ort und Stelle. Auf den Abfallbergen zwischen den Hütten suchen Hunde, Katzen, Kühe und Schweine nach Essbarem. Ein Übelriechender Gestank dringt in unsere Nasen. Die Armut ist allgegenwärtig! Wir haben Mühe, uns daran zu gewöhnen. Irgendwie passt es auch nicht in jenes Bild, das Indien auf anderen Gebieten darstellt: Seine Informationstechnologie hält mit der Weltspitze mit und viele betrachten Indien neben China als die kommende Wirtschaftsmacht in Asien. Diese Vision hat wenig mit jener Realität zu tun, der wir hier begegnen. Auch andere Vergleiche mit Industrienationen zeigen klare Defizite des über eine Milliarde zählenden Landes. Beispielsweise ist jede vierte Frau, die bei der Geburt ihres Kindes stirbt, Inderin. Vermeidbare oder heilbare Leiden wie TB, Malaria, Lepra und Blindheit machen die Hälfte der offiziell gemeldeten Krankheitsfälle aus. Jedes zweite Kind ist unterernährt. HIV und Aids geben Anlass zu Besorgnis. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt lediglich 360 US-Dollars. Die Analphabetenrate ist auch heute noch extrem hoch und jene bei den Frauen ist fast doppelt so hoch wie jene bei den Männern. Es besteht zwar eine in der Verfassung verankerte Schulpflicht und die Schule ist bis zum Alter von 14 Jahren gratis. Trotzdem sind nur zwei Drittel aller Kinder in einer Schule angemeldet. Doch von diesen besuchen viele die Schule nicht regelmässig.

Der Kauf eines Zugstickets ist problemlos, verfügen doch die indischen Staatsbahnen über ein modernes, elektronisches Reservierungssystem. Für Touristen und Frauen existieren spezielle Schalter. Das bedeutet, dass wir nicht wie die Inder stundenlang anstehen müssen. Für die erste Etappe nach Ahmedabad im Bundesstaat Gujarat erstehen wir Tickets in der zweiten Klasse. Indische Züge sind immer überfüllt, und in die Dreiersitzreihen drängen sich meist vier oder fünf Passagiere. Auch im Mittelgang machen es sich Mitreisende bequem. Durch dieses Gewühl von Leuten und Gepäck zwängen sich noch Schuhputzer, Bettler und Verkäufer von Tee, frittierten Köstlichkeiten oder Früchten.

Bei der Ankunft in Ahmedabad werden wir erneut von unzähligen Schleppern und Taxifahrern empfangen, die uns zu einem Hotel bringen wollen. Natürlich streichen alle für jeden zugeführten Gast eine Provision ein, die schliesslich wir über den Zimmerpreis bezahlen müssten. Wir gehen deshalb alleine und zu Fuss in die nahe gelegenen Hotels, was uns mehr Spielraum beim Aushandeln des Übernachtungspreises gibt. Im ersten Hotel wird uns mitgeteilt, alle Zimmer seien besetzt. Wir vermuten aber eher, dass ausländische Rucksacktouristen hier nicht willkommen sind.

Der an Pakistan grenzende Bundesstaat Gujarat wird nicht von vielen Touristen besucht. Er hat aber einige Sehenswürdigkeiten zu bieten, wie beispielsweise interessante Jain-Tempel. Von aussen gleichen diese Tempel einem Hindu-Tempel, das Innere ist aber weitaus prachtvoller und weniger asketisch. Eine der schönsten Tempelanlagen dieser Glaubensrichtung befindet sich auf dem Berg Girnar, unweit der Stadt Junagadh. Täglich erklimmen Tausende von Gläubigen die zehntausend Treppenstufen auf den Gipfel. Wer will kann sich auch von zwei Trägern auf einer Sänfte hinauftragen lassen. Bezahlen muss man dafür nach Gewicht. Bevor es also losgehen kann, muss man sich auf die Waage stellen. Wir verzichten darauf und gehen zu Fuss. Wir starten bereits frühmorgens um den Aufstieg noch im Schatten hinter uns zu bringen. Nach zwei Stunden erreichen wir die verschiedenen Tempel auf dem höchsten Punkt. Die Aussicht die sich uns bietet ist überwältigend. Der Abstieg ist nicht weniger beschwerlich als der Aufstieg. Inzwischen sind die Treppenstufen voll den Sonnenstrahlen ausgesetzt. Zudem spüren wir erste Anzeichen von Muskelkater in unseren Beinen. Wir werden die Nachwirkungen noch tagelang spüren.

In Junagadh machen wir auch weitere Fortschritte im Entdecken der kulinarischen Köstlichkeiten Indiens. Zum Frühstück gibt es Aloo Paratha (Fladenbrot mit Kartoffeln gefüllt) oder Dosa (papierdünnes Omelett aus Linsenmehl). Das Angebot an Snacks ist vielfältig. Samosa und Kachori (frittierte Teigtaschen mit gewürzter Gemüsefüllung), Pakora (im Teig frittiertes Gemüse) oder Aloo Tika (Kartoffelbreiküchlein). Eine besondere Spezialität Gujarat ist Thali. Dabei werden verschiedene Gemüse, Dahl (Linsengericht), Reis, Yoghurt und frisches Chapati (dünnes Fladenbrot) serviert. Es wird solange nachgeschöpft, bis man genug hat. Zu unseren weiteren Favoriten gehört Palak Paneer (Spinat mit Frischkäse). In den unzähligen Konditoreien und Bäckereien kaufen wir Barfi, eine Art Praline aus eingekochter Milch und feines Blätterteiggebäck. Den Durst löschen wir mit Frischgepressten Fruchtsäften oder dem Yoghurtgetränk Lassi.

Mt. Abu ist unsere erste Station im Bundesstaat Rajasthan. In den 1100 Meter über Meer liegenden Kurort zieht es mehrheitlich indische Touristen. Die kunstvollen sehr feinen Marmorschnitzereien im Dilwara Tempel gehören zu den schönsten in ganz Indien. Ein kurzer Spaziergang führt uns zum wenig besuchten Gaumukh Tempel. Der Tempel ist bekannt für sein heiliges Wasser, das durch den Marmorkopf einer Kuh in einen Teich fliesst.

Weiter geht es nach Udaipur, das idyllisch am Pichola See liegt. Mit seinen engen Gassen gilt es als Venedig des Ostens. Der See ist zurzeit fast vollständig ausgetrocknet, hat es doch seit Jahren nicht mehr genügend geregnet. Der sonst majestätisch im blauen See schwimmende, ehemalige Maharaja Palast Jagniwas kann deshalb zu Fuss erreicht werden. Die Stadt diente übrigens als Kulisse für den James Bond Film "Octopussy". Noch heute wird der Streifen allabendlich in unzähligen Bars und Restaurants vorgeführt. Der City Palace Udaipurs ist der grösste Palastkomplex Rajasthans. Aber auch in der Umgebung gibt es Sehenswürdigkeiten, die wir in zwei Tagesausflügen besichtigen. Das Ford von Kumbhalgarh mit dem Badal Mahal, dem Palast der Wolken, aus dem 15. Jahrhundert, liegt stolz auf der Aravalli-Bergkette auf 1100 Meter über Meer. Seine Befestigungsmauern bilden einen Ring von rund 36 Kilometer Länge. In Ranakpur steht der grösste und wichtigste Jain-Tempel Indiens. Der Haupttempel Chaumukha ist aus Marmor und wurde 1439 erbaut. Er umfasst 29 Hallen. Diese werden von 1444 Säulen getragen, wovon jede individuell geschnitzt ist. Die Kantine des Tempels steht allen Besuchern offen. Wir essen dort ein sehr einfaches, aber feines Thali. Weitere Tempelanlagen besuchen wir in Nagda und Eklingji. Wer die Steinmetzarbeiten an den Aussenmauern genau studiert, kann oft einige sehr erotische Darstellungen entdecken. In Nathdwara sind die Tore des berühmten Visnu-Tempels Sri Nathji bei unserem Besuch um die Mittagszeit gerade verschlossen. Wir geniessen stattdessen das emsige Treiben in den engen Altstadtgassen und dem Bazar. Plötzlich hören wir laute, Naheherkommende Musik. Kurz darauf erspähen wir eine Hochzeitsprozession, die von Musikanten in Uniformen angeführt wird. Dahinter reitet ein festlich gekleideter indischer Mann auf einem geschmückten Pferd. Hinter dem Bräutigam folgen zahlreiche Frauen in wunderschönen, farbigen Kleidern. Die ganze Festgesellschaft wird noch stundenlang singend und tanzend durch die Strassen ziehen, bis der Umzug beim Haus der Braut zu Ende gehen wird. Solchen Hochzeitsprozessionen werden wir in Indien noch häufig begegnen. Nach Einbruch der Dunkelheit werden übrigens zur Beleuchtung des Umzuges schwere kronleuchterartige Lampen mitgetragen. Ein auf einem Lastwagen mitgeführter Generator erzeugt die dafür notwendige Elektrizität.

Unsere Reise geht weiter über Chittorgarh mit seinem sehenswerten Fort in die Kleinstadt Bundi. Der Bus benutzt dabei teilweise Abschnitte der neuen Autobahn Mumbay - Delhi. Trotz richtungsgetrennter vierspuriger Fahrbahn darf man in Indien nicht überrascht sein, wenn auf der Überholspur plötzlich ein von einem Kamel gezogener Wagen entgegenkommt, oder eine Ziegenherde gemütlich die Strasse überquert. Tiere haben in Indien immer Vortritt, das gilt natürlich im Besonderen für die als heilig geltenden Kühe.

Pushkar, eine kleine Stadt in Zentralrajasthan, ist mit seinem heiligen See Anziehungspunkt für viele Pilger und Priester. Wir begegnen dort vielen Sadhus. Diese oft meist orange gekleideten Hindus haben jeden weltlichen Besitz sowie ihre Familien aufgegeben. Sie sind auf der Suche nach geistiger Erfüllung durch Meditation, Hingebung, das Lesen von heiligen Texten und Wallfahrt.

Ein Höhepunkt unserer Rundreise in Rajasthan bildet die Besichtigung von Meherangarh, der eindrücklichen Befestigungsanlage von Jodpur. Das 125 Meter über der Stadt trohnende Fort wurde lange Zeit von der Familie des Maharajas von Jodpur bewohnt. Nachdem die damalige Ministerpräsidentin Indira Gandhi in den frühen siebziger Jahre Titel und Grundeigentumsrechte der Maharajas aberkannt hatte und sämtliche Geldzahlungen an die ehemaligen Machtzahler einstellte, steht der Palast heute der Öffentlichkeit als Museum zur Verfügung. Beim Durchschreiten der kunstvoll verzierten Räume und Gemächer fühlen wir uns ins Märchen von tausendundeiner Nacht zurückversetzt.

Die befestige Altstadt von Jaisalmer liegt am westlichen Ende der grossen Thar-Wüste. Einst wichtiger strategischer Handelsort an der Seidenstrasse, lebt die Stadt heute grösstenteils von der Tourismusindustrie. Wir geniessen es, in der Ruhe der verkehrsfreien Altstadtgassen herumzuschlendern. Innerhalb der Befestigungsmauern sind mehrere Jain- und Hindutempel anzutreffen. Die zahlreichen verzierten Sandsteingebäude, so genannte Havelis, wurden von reichen Handelsfamilien erbaut und gehören zu den schönsten in ganz Rajasthan.

Wir wollen von hier aus ein Paket in die Schweiz schicken. Das wird zu einem besonderen Erlebnis. Der Postangestellte kann uns keine Schachtel anbieten, sondern schickt uns zu einem Schneider, in einem Souvenirladen im Bazar. Während der Schneider unsere Sachen in Stoff einwickelt und zunäht, wird uns stark gesüsster Tee serviert. Immer wieder präsentiert uns der Schneider seine Wandbehänge, Decken und Stoffe und will uns diese verkaufen. Nach drei Stunden, vielen weiteren Tees und einer diskreten Präsentation von Kamasutra-Bildern verlassen wir mit dem versiegelten Stoffpaket den Laden.

Als letzte Station in Rajasthan besuchen wir die Hauptstadt Jaipur, allgemein als die "rosarote Stadt". Diese Bezeichnung stammt von der Farbe der Häuser in der von einer Mauer umrahmten Altstadt. 1876 befahl der Maharaja Ram Singh, die ganze Stadt sei rosarot, der Farbe der Gastfreundschaft, anzumalen. Er wollte damit den Prince of Wales, dem späteren Koenig Edward VII, willkommen heissen. Seitdem hat man an dieser Farbe festgehalten. Wir besuchen den Windpalast Hawa Mahal. Er wurde 1799 erbaut, um den Damen des königlichen Haushalts, denen ein Besuch der Stadt verboten war, zu ermöglichen, das Geschehen ausserhalb des Palastes zu beobachten. Die unzähligen kleinen Fenster sind nämlich so konstruiert, dass man von aussen nicht erkennen kann, wer sich dahinter verbirgt.

Das Treiben auf den Strassen der Altstadt widerspiegelt den Alltag Indiens in seiner ganzen Vielfalt. Ein Hirtenjunge versucht seine Ziegen zusammenzuhalten, dahinter stösst ein Handwerker seinen mit Eisenstangen beladenen Handkarren, ein Bäcker folgt mit seinem Verkaufsladen auf Rädern, man sieht Bauern mit ihren Ochsenkarren, andere Bauern haben das Kamel vor ihren einachsigen Karren gespannt. Selbst Elefanten fehlen nicht. Dazwischen versuchen Autos, Busse, Lastwagen, Mofas und Velos sich einen Weg durch das Chaos zu bahnen. Die heiligen Kühe scheinen sich ab all dem Lärm und Gestank nicht zu stören, friedlich trotten sie widerkauend der Strasse entlang.

Auf der Reise durch Rajastahn und Gujarat erlebten wir Indien von einer exotischen und farbenprächtigen Seite: Männer mit safrangelben Turbanen, langen Schnurrbärten und spitzigen Schuhen, stolze schmuckbehangene Frauen in ihren farbigen traditionellen Gewändern sowie Kinder mit strahlenden Gesichtern. Wir sehen aber auch die Schattenseite der indischen Gesellschaft mit unzähligen Bettlern und körperlich behinderten Menschen. Das Herumreisen empfinden wir als äusserst intensiv und anstrengend. Wir sind ständig von neugierigen Indern und vorwitzigen Kindern umgeben. Es gibt wenige Momente, in denen wir ungestört herumspazieren können. Unbeobachtet zu fotografieren ist hier unmöglich, ziehen wir doch dabei die Aufmerksamkeit noch mehr auf uns. Indien mit all seinen zahlreichen Facetten und Gegensätze beschreiben zu wollen, ist fast nicht möglich. Indien muss man selbst erlebt. haben.

 

*so begrüsst man sich in Indien

 

Topps und Flopps Nordindien

 

Topps

  • Girnar Hill
  • Mt. Abu
  • Jaisalmer

Flopps

  • mysteriös verschwundene Unterwäsche von Lea in Udaipur

 

 

Reisebericht Westbengalen (Darjeeling) und Sikkim

05.02. - 24.02.2005

 

Grüezi - Namaste*

 

Bevor wir in die Bergregionen Darjeelings und Sikkims fahren, machen wir noch Zwischenhalte in Agra und Kolkatta. In Agra steht Indien's bekanntestes Monument, der Taj Mahal am Ufer des Flusses Yamuna. Das imposante, weisse Marmorgebäude erstrahlt in einer Pracht, als wäre es erst kürzlich erstellt worden. Gebaut wurde es aber vom Herrscher Shah Jahan als Mausoleum für seine zweite Frau Mumtaz Mahal, die 1631 starb. Der Bau begann noch im gleichen Jahr, wurde aber erst 1653 fertig erstellt. Über 20'000 Arbeiter waren am Bau beteiligt. Es heisst, man habe einigen von ihnen später die Hand amputiert, um zu verhindern, dass die Perfektion des Mausoleums jemals wiederholt würde. Unweit des Taj Mahals können wir sehen, wie Hindus Abschied von ihren Verstorbenen nehmen. Auf den zum Fluss hinunterführenden Stufen befinden sich mehrere Kremationsplattformen. Dort wird der in weisse Tücher eingewickelte Leichnam auf Holz gelegt und von der Trauergemeinde, ausschliesslich Männern, mit trockenen Ästen zugedeckt. Wir beobachten, wie sich ein naher Angehöriger des Verstorbenen, neben dem Leichnam kniend, seine Kopfhaare abrasieren lässt, sich wäscht und in weisse Kleidung hüllt. Anschliessend tritt er an den Scheiterhaufen und zündet diesen an. Schweigend stehen die Trauernden um das Feuer, bevor sie nach einigen Minuten den Ort verlassen.

 

Nach einer 1'500 Kilometer langen Zugsfahrt, für die wir 34 Stunden benötigen, erreichen wir spätabends Kolkata, das ehemalige Kalkutta. In der hektischen Howrah Bahnstation stolpern wir beinahe über die unzähligen am Boden schlafenden Menschenbündel, sowohl auf die Abfahrt ihrer Züge wartende Passagiere wie auch Obdachlose, die hier Schutz suchen. Die Stadt mit ihren über vierzehn Millionen Einwohnern ist ein Ort der extremen Gegensätze. Auf der Taxifahrt ins Hotel passieren wir moderne Viertel mit Hotels, Restaurants und Bars, Neonreklame machen Werbung für die neusten Autos oder Mobiltelefone. Ein paar Strassen weiter ändert sich das Bild drastisch und wir fahren durch Slumsiedlungen ohne Strom und Wasserversorgung. Solche Kontraste zwischen Arm und Reich gehören hier zum Alltag. Mutter Teresa, die Friedensnobelpreisträgerin von 1979, hat sich für die Ärmsten dieser Stadt eingesetzt. Wir besuchen den Orden der Barmherzigkeit, wo ihr Lebenswerk weitergeführt wird. Unter den Helfern finden sich auch viele Freiwillige aus dem Ausland, die für kurze oder längere Zeit im Mutterhaus arbeiten.

 

Für die Bahnfahrt mit dem Kanchenjunga Express nach New Jalpaiguri haben wir Plätze in der ersten Klasse reserviert. Die Ambiente im mit einem Vorhang abgetrennten vierer Abteil ist aber eher steril. Wir vermissen das lebhafte Treiben in der überfüllten Holzklasse, wie wir es in den bisherigen Bahnfahrten erlebt haben. Während der ganzen zwölfstündigen Fahrt fahren wir durch die riesigen Reisplantagen von Westbengalen. Die Weiterfahrt ins 2134 Meter über Meer liegende Darjeeling legen wir im Dampfzug zurück. Für die rund 88 Kilometer lange Strecke benötigt die Schmalspurbahn etwa acht Stunden. Unterwegs passieren wir 500 Brücken, vier komplette 360 Grad Kehren und sechs Z-förmige Spitzkehren, in denen die Zugskomposition für eine kurze Strecke rückwärts den steilen Hang hinaufgeschoben wird. Leider bleibt uns während der Fahrt die spektakuläre Aussicht auf die mit Teeplantagen überwachsenen Hänge und die Himalaya-Gipfel meist durch Nebel und Wolken verwehrt. Dieses Wetter hält während unserem Aufenthalt in Darjeeling leider an. In dieser Region wird ein Viertel der gesamten indischen Teeproduktion gepflückt. In 80 Teeplantagen sind 40'000 Arbeiter beschäftigt. 80 Prozent der Produktion sind für den Export bestimmt. Seltsamerweise übersteigen die weltweiten Verkäufe von Darjeeling-Tee bei weitem die hier produzierte Menge. Nicht jeder Teebeutel mit der Aufschrift Darjeeling stammt demnach aus hiesiger Produktion.

 

Als wir uns zwei Tage später mit einem Jeep nach Sikkim aufmachen, zeigt sich das Wetter wieder von der schönsten Seite. Nach der Überquerung des mächtigen Teesta-Flusses werden unsere Pässe in Rangpo abgestempelt. Wir dürfen fünfzehn Tage im ehemaligen Koenigreich bleiben. Erst seit 1975 gehört Sikkim zu Indien. Der Einfluss der angrenzenden Länder, Nepal im Westen, Tibet (China) im Norden und Bhutan im Osten ist deutlich spürbar und wir fühlen uns auch gar nicht mehr in jenem Indien, das wir bisher erlebt haben. Die Fahrt in den Hauptort Gangtok führt steilen Berghängen entlang und wir überqueren mehrere Hängebrücken. Die Strassen sind eng und in einem sehr schlechten Zustand. Mit äusserst einfachen Geräten und Hilfsmitteln werden die Strassen zwar unterhalten, Bergrutsche oder über die Ufer tretende Bergbäche machen diese Arbeit aber oft wieder zunichte. Gangtok präsentiert sich uns dann aber ganz und gar nicht als verschlafenes Bergdorf, wie wir es erwartet haben. Es ist eine lebhafte, rasch wachsende Stadt mit knapp 100'000 Einwohner. Wir besuchen das 200 Jahre alte Kloster Enchey Gompa. In dem mit farbigen Gebetsfahnen geschmückten Tempelhof treffen wir viele junge Mönche beim Studium an. Ein anderes Kloster, Do-Drul Chorten, verfügt über einen Tempelturm (Stupa), um den 108 Gebetsmühlen angeordnet sind. Die buddhistischen Gläubigen umrunden diese Stupa im Uhrzeigersinn und drehen dabei die Gebetsmühlen. Als wir am nächsten Morgen erwachen, präsentiert sich uns ein wolkenfreier Blick auf den 8'598 Meter hohen Kanchenjunga und andere Himalaya-Gipfel.

 

Für den Besuch des im Nordsikkim liegenden Yumthang Tales brauchen alle Touristen eine Bewilligung und das abgelegene Gebiet darf nur mit einer organisierten Tour besucht werden. Für die 125 Kilometer lange Strecke sind wir fünf Stunden unterwegs. Der Ort konnte den Charakter eines Bergdorfes bisher erhalten. Wir geniessen den Ausblick auf die imposanten Berggipfel und die Ruhe des hereinbrechenden Abends. Während der Nacht wird es empfindlich kalt und am Morgen sind die Berghänge bis weit ins Tal mit Neuschnee bedeckt. Bei einem Morgenspaziergang wärmen uns die ersten Sonnenstrahlen. Mit dem Jeep geht es dann weiter talaufwärts, vorbei an weidenden Yaks. Schon bald erreichen wir die Schneegrenze. Die Strasse ist mit gut 25 Zentimeter Neuschnee bedeckt, womit nicht alle Touristenfahrzeuge zurecht kommen. Kein Wunder, wenn man die abgefahrenen Profile ihrer Pneus betrachtet. Ein Jeep steckt in einer Kurve fest und bringt den ganzen Konvoi zum stehen. Die indischen Touristen erfreuen sich am Neuschnee, sie bauen Schneemänner oder beginnen eine Schneeballschlacht und es wird fleissig fotografiert. Wir beide sind, als einzige westliche Touristen, ein gefragtes Fotosujet. 18 Kilometer trennen uns vom Tagesziel, doch ein Überqueren des Passes ist bei diesen Strassenverhältnissen unmöglich. Der Ausflug in die engen, tiefen Täler Nordsikkims hat sich trotzdem gelohnt.

 

Unser nächster Etappenort ist Pelling in Westsikkim auf 2'200 Meter über Meer. Die Himalaya-Bergkette scheint hier schon beinahe zum Greifen nahe, obwohl der Gipfel des Kanchenjunga noch 40 Kilometer entfernt ist. Wir mieten einen Jeep mit Fahrer und erkunden die Umgebung. Der Khecheopari-See gilt sowohl für Buddhisten als auch Hindus als heiliger See. Über dem von Wald umgebenen See liegt eine fast gespenstische Ruhe. Man erzählt sich, dass die Vögel jedes einzelne Blatt, das auf die Seeoberfläche fällt, wieder herauspicken würden. Zur Mittagszeit erreichen wir Yuksom, die erste Hauptstadt Sikkims. Das 1701 erbaut Kloster gilt als Geburtsort Sikkims und ist eines der ältesten in der Provinz. Für die Bewohner Sikkims ist es ein heiliger Ort. Das Kloster von Tashiding liegt auf einem Hügel von dem man einen wunderbaren Rundblick geniessen kann. Laut buddhistischen Schriften hat hier im achten Jahrhundert der Guru Rimpoche das heilige Land Sikkim gesegnet. Bei unserem Besuch werden die letzten Vorbereitungen für ein wichtiges buddhistisches Festival getroffen. Jedes Jahr am vierzehnten und fünfzehnten Tag im ersten Monat des Mondkalenders wird das Bumchu-Festival gefeiert. Zu dieser Zeremonie strömen Tausende von Gläubigen herbei um der Segnung des heiligen Wassers beizuwohnen. Dieses wird nur einmal jährlich hervorgeholt, mit frischem Wasser vermischt und an die Pilger verteilt. Anschliessend wird der Behälter wieder aufgefüllt und für ein weiteres Jahr wieder verschlossen. Unter den bereits anwesenden Pilgern befinden sich viele ältere Frauen in den traditionellen Trachten Sikkims. Sie umrunden die Gompa, drehen die Gebetsmühlen und murmeln leise ihre Gebete. Bevor wir Indien Richtung Bangladesch verlassen, legen wir nochmals einen Halt in Darjeeling ein. Im Vergleich zu unserem ersten Besuch vor zwei Wochen hat sich das Wetter etwas gebessert und es sind schon bedeutend mehr Besucher anzutreffen. In Kürze beginnt in diesem Kurort für indische Touristen die Hochsaison. Wir können das bevorstehende Verkehrschaos und Menschengewühl bereits erahnen. Mit dem Jeep kehren wir nach Siliguri in der Ebene von Westbengalen zurück und von dort geht es weiter per Bus nach Chengrabandah, dem Grenzort zu Bangladesch. Indien liegt hinter uns, wir freuen uns auf neue Reiseerlebnisse in Bangladesch.

 

*so begrüsst man sich in Indien